Es war 1950, als Otto Kässbohrer und sein Chefkonstrukteur Georg Wahl vor einem schwerwiegenden Problem standen. Die aufstrebende neue Republik schrie nach Lastwagenfahrgestellen, um die im Krieg zerstörten Städte und Industrieanlagen wieder aufzubauen. So kam es, dass die Karosseriewerke nicht mehr mit der benötigten Anzahl von Lkw-Fahrgestellen beliefert wurden. Dieses Problem wurde nun zur Existenzfrage der Firma. Man erinnerte sich, dass man in den 30er Jahren ja schon einmal ein Fahrzeug mit selbsttragendem Fahrgestell gebaut hatte. Konnte man dieses Prinzip nicht auch auf den Omnibus übertragen?
Dieser Weg war außerdem völlig neu und baute nicht auf bisherigem auf. Trotz aller Warnungen guter Freunde beschritten Otto Kässbohrer und Georg Wahl diesen Weg. Ziel war es, einen Omnibus zu bauen, der über folgende Verbesserungen verfügte: Einbau eines Heckmotors, das Eigengewicht sollte verringert werden, der Wagenkörper eine höhere Festigkeit erhalten und mehr Sicherheit bieten, eine wirtschaftlichere Raumausnutzung, mehr Bequemlichkeit für die Fahrgäste und zum Schluss auch mehr Komfort und mehr Gepäckraum.
Im Jahr 1951 verblüffte dann ein Foto die Fachwelt: 6 Arbeiter trugen ein Gitterrohrgestell, welches die Basis für einen Omnibus bildete. Damit hatte die Geburtsstunde des SETRA geschlagen.
Nun war der Beweis erbracht, dass eine Gerippestruktur mit integrierter Bodengruppe eine dermaßen hohe Stabilität hatte, dass dieses Gerippe zu einem Omnibus fertiggestellt werden konnte. Außerdem hatte sich der Omnibusbau damit endgültig vom Lastwagenfahrgestell gelöst.
1951 war dann der erste Omnibus dieses neuen Typs fertig und konnte unter der Bezeichnung „SETRA Typ S 8“ vorgestellt werden.
Die Bezeichnung SETRA leitete sich ab von SElbstTRAgend und die Typenbezeichnung bezog sich auf die 8 Sitzreihen, über die das Fahrzeug verfügte.
Ausgestattet war dieses Fahrzeug mit einem Sechszylinder Dieselmotor von Henschel, der eine Leistung von 95 PS brachte. Wochenlang war man mit diesem Bus auf guten wie auch auf schlechten Straßen und Autobahnen unterwegs. Er wurde auf schwierigsten Passstraßen und auf Autobahnen strapaziert. Die angestellten Messungen übertrafen die gestellten Erwartungen und die Fahreigenschaften stellten alles Bisherige in den Schatten.
Baujahr: 1951
Länge: 9.300mm, Breite: 2.400 mm, Höhe: 2.700 mm
zul. Gesgew.: 9.300 kg
Sitzplätze: 36 Sitzplätze einschl. Fahrer und 7 Mittelgangsitze
Motor: Henschel 512 DJ 6 Zylinder Diesel - 100 PS bei 2,400 U/min, Hubraum 5.430 ccm
Höchstgeschwindigkeit: ca. 86 km/h
Otto Kässbohrer erinnerte sich: „Viele wohlmeinende Freunde haben uns damals in bester Absicht gewarnt. Ein Automobil zu bauen, sei für uns als Außenseiter zu schwierig. Das könnte sehr leicht ins Auge gehen! Doch die pessimistischen Stimmen haben sich nicht bewahrheitet. Unsere Arbeit scheiterte - Gott sei Dank - keineswegs. Trotz aller Schwierigkeiten, die im Detail zu bewältigen waren, nahm sie ein gutes Ende, und was viele zunächst als ein einmaliges Experiment angesehen hatten, geriet zu einem Wendepunkt für den gesamten Omnibusbau. Schließlich war einfach die Zeit gekommen, wo ein technischer Anachronismus ein Ende finden mußte, wie es die Verwendung von gleichen Fahrgestellkonstruktionen für Personen- und Gütertransportfahrzeuge darstellte. Zu Recht wurde ja gefordert, daß ein Omnibus die gleich guten Fahreigenschaften wie ein Pkw haben müsse. Diese Erwartungen erfüllte der selbsttragende Omnibus in vollem Umfang. Heute bietet ein moderner Reiseomnibus mit dieser Bauweise mehr Komfort als ein Personenwagen.“
Doch die technische Entwicklung schritt unaufhaltsam fort. 1952 stellte die Firma Kässbohrer den ersten Gelenkomnibus vor.
Diesen allerdings noch auf einem Lkw-Fahrgestell aufgebaut.
Der 1. Gelenkomnibus auf einem MAN-Fahrgestell. Er war 17,50 m lang und bot 170 Personen Platz.
Der nächste SETRA-Typ, der SETRA S 10.
Er trug der Nachfrage nach einem größeren Raumangebot Rechnung. Mit 9 - 10 Sitzreihen, 9 Mittelgangsitzen (so etwas war damals noch üblich und erlaubt) bot er im Reiseverkehr bis zu 52 Sitzen (im Linienverkehr bis zu 85 Plätzen).
Technische Daten:
Motor: Henschel 522 DPK, 6-Zylinder-Diesel, 125 PS
Länge: 9.850 mm, Breite: 2.500 mm, Höhe: 2.800 mm
Gewicht: 10.800 kg
Geschwindigkeit: bis 110 km/h
1954 ging Otto Kässbohrer daran, auch einen eigenständigen Stadtlinienbus zu entwickeln. Als Grundlage diente eine Konstruktion des Oldenburger Busunternehmers Theodor Pekol. Er hatte bereits Busse in Schalenbauweise gebaut. Dieses Prinzip wurde auch hier übernommen, lediglich Bodengruppe und Lenkung wurden verbessert. Aufgrund dieser Zusammenarbeit erhielt das Fahrzeug die Typenbezeichnung SP, was für SETRA-Pekol steht. Dieser Omnibus war der erste in Serie gefertigte Omnibus, bei dem die Nutzlast (ca. 6 to.) höher war als das Leergewicht (ca. 5,1 to.). Etwas, was nie wieder erreicht wurde. Später ging dieser Bus unter der Typenbezeichnung SETRA ST 110 in Serie.
SETRA ST 110
Technische Daten:
Länge: 9.750 mm, Breite: 2.500 mm
Motor: Henschel - 522 DPU - 125 PS
Fahrgäste: bis 95
1955 folgte der erste große Exportauftrag: 200 Super-SETRA Hochdecker-Omnibusse für die USA.
Ein Omnibusmodell, was hier in Deutschland noch gänzlich unbekannt war. Unter dem Namen „Golden Eagle“ und „Silver Eagle“ gingen diese Fahrzeuge in die Firmengeschichte ein.
Golden Eagle
Technische Daten:
Länge: 12.200mm
Breite: 2.500 mm
Höhe: 3.800 mm
Motor: MAN D 1548 MTH - Turbo - 8 Zylinder mit 210 PS
Höchstgeschwindigkeit: ca. 115 km/h
Der erste Auftrag für dieses Fahrzeug umfasste 50 Busse, dem noch weitere 150 folgten. Seinen Namen erhielt der Bus aufgrund der goldfarben eloxierten Seitenbleche. Da es sich bei diesem Fahrzeug um einen völlig neuen Omnibustyp handelte, wurden auch die technischen Ausrüstungen und Sonderausrüstungen neu gestaltet. So erhielten Die Busse riesige Kofferräume, eine neuartige Gummi-Torsionsfederung mit automatischer Höhenverstellung und neue druckluftbetätigte SETRA-Außenschwingtüren anstelle der unpraktischen Flügeltüren. Diese setzten sich dann schnell in den USA durch.
SETRA Typ S6
Technische Daten:
Länge: 6.700mm, Breite: 2.250 mm, Höhe: 2.620 mm
zul. Gesgew.: 5.850 kg
Motor: Henschel 517 D 4 4 Zylinder Diesel
90 PS bei 2.600 U/min, Hubraum 4.084 ccm
Sitzplätze: 26 Sitzplätze einschl. Fahrer
Höchstgeschwindigkeit: ca. 100 km/h
1955 hatte der SETRA S 6 auf dem Genfer Automobilsalon Premiere. Auch dieses Fahrzeug wies eine Reihe technischer Neuerungen auf, wie z.B. ein Fahrwerk mit Einzelradaufhängung vorn und hinten, mit Schwingachsen sowie einer wartungsfreien Gummi-Torsionsfederung. Dieser Bus ist bis zum heutigen Tage der kleinste SETRA, der je gebaut wurde. Von diesem Bustyp wurden insgesamt 1120 Stück gebaut.
Eine Zeichnung aus einem Verkaufsprospekt. Mit den Proportionen nahm man es damals nicht so genau.
Konstruktionszeichnung des S6
Neben vielen anderen technischen Neuerungen wurde 1959 die Fertigung der Omnibusse nach dem Baukastenprinzip eingeführt. Unter Verwendung weitgehend gleicher Teile wurden die Typen S 9 , S 10, S 11, S 12, S 14 und S 15 gebaut. Anfangs baute man noch weiterhin eine komplette Dachrand- und Kuppelverglasung ein, die aber im Zuge der technischen Entwicklung nach und nach verschwand, zuerst die Kuppelverglasung vorn und hinten, später auch die Dachrandverglasung.
Technische Daten:
Länge: 10.220 mm
Breite: 2.500 mm
Motor: Henschel 522 DPKF mit 132 PS oder
Henschel 522 DPKL mit Auflader und 150 PS
Technische Daten:
Baujahr: 1959
Länge: 9.630 mm
Breite:2.500 mm
Höhe: 2.975 mm
Motor: Henschel 522 DPK - 125 PS - 6 Zylinder
Hubraum: 6.130 ccm
Getriebe: ZF S 5-35 - 5-Gang-Getriebe
Sitzplätze: 40
Höchstgeschw.: 92 km/h
Der 1. Omnibus in Baukastenweise mit durchgehendem Kofferraum
Auf der IAA 1959 stellte man noch eine weitere Neuheit vor, die für viel Aufsehen sorgte: Den SETRA S 12 Hochdecker. Durch den hohen Wageninnenboden und zusätzliche Podeste entfielen die Radkästen, so dass die Fahrgastsitze beliebig verstellbar auf Schienen angeordnet werden konnten.
Eine der ersten Konstruktionszeichnungen des SETRA S 12 Hochdeckers
Technische Daten:
Baujahr 1959
Länge: 11.900 mm
Breite: 2.500 mm
Höhe: 3.200 mm
SETRA S 12 in Hochdecker-Ausführung
Die Vorderräder waren einzeln aufgehängt und luftgefedert. Die Hinterachse hatte eine kombinierte Luft-/Blattfederung. Die Busfahrer waren begeistert, passte doch das gesamte Gepäck in den Kofferraum und das „Herumgeturne“ auf dem Dachgepäckträger war nicht mehr nötig, aber die Kunden, die dieses Fahrzeug kaufen sollten, waren noch zu konservativ eingestellt. Die Zeit war einfach noch nicht reif für ein solches Fahrzeug. So blieb es bei einer kleinen Serie von 8 Stück und die Produktion wurde wieder eingestellt.
SETRA S 14
Technische Daten:
Länge: 12.000 mm
Breite: 2.500 mm
Höhe: 3.000 mm
Gewicht: 13.000 kg
Motor: Henschel 520 D6P
170 PS
Getriebe: ZF-S8-45
Synchroma-Getriebe
Sitzplätze: 57
Inzwischen traf ein weiteres Verbot die Omnibusbetriebe: Das Verbot der Mittelgangsitze. In Anbetracht dieses Verbotes und auch um die höchstzulässige Länge von 12m auszunutzen, entstand 1961 der SETRA S 14. Der neugestaltete Frontgrill und die höher gezogene Windschutz- und Heckscheiben, die nun nur noch durch schmale Stege getrennt wurden, gaben dem Bus ein moderneres Aussehen. Gleichzeitig konnte durch die neu gestaltete Front- und Heckpartie der Innenraum des Busses besser genutzt werden, was einer weiteren Sitzreihe zugute kam.
Nach und nach wurden dann auch die anderen Modelle auf das neue Design umgestellt.
Parallel zur Entwicklung der Reisebusse, wurden jedoch auch Linienbusse gebaut. Der erste wurde 1953 vorgestellt und besaß eine interessante Neuerung: die Kässbohrer-Außenschwingtüren. Diese bildeten, im Gegensatz zu den sonst üblichen Falt- und Schwingtürversionen einen glatten und bündigen Abschluss mit der Außenwand des Busses. Auf diese Türen bekam Kässbohrer ein Patent. Sie bewährten sich so gut, dass sie nicht nur in Omnibussen, sondern auch in Straßenbahnwagen eingebaut wurden.
SETRA S 125
Technische Daten:
Länge: 10.650 mm
Breite: 2.500 mm
Höhe: 3.050 mm
Motor: Henschel 132 PS
Linienbus für 125 Personen
Damit war die erste Baukastenreihe komplett. Otto Kässbohrer hatte dem Omnibusbau zwei neue Möglichkeiten aufgezeigt: die selbsttragende Bauweise und das für den Hersteller wie für den Omnibusunternehmer gleichermaßen vorteilhafte Baukastensystem von unterschiedlich großen, ansonsten aber weitgehend übereinstimmenden Fahrzeugen. Mit einigen technischen und stilistischen Anpassungen an neue Erkenntnisse und Möglichkeiten, die sich teilweise auch durch verbesserte Zulieferteile ergaben, wurde diese Baureihe bis ca. 1967 gebaut. Dann wurde sie von der Baureihe 100 abgelöst.
1970 erschien der SETRA S 130 S. Mit ihm stand nunmehr ein attraktiver Stadtlinien-Omibus zur Verfügung, bei welchem SETRA-Vorzüge und wesentliche Elemente der VÖV-Standard-Linienbus-Version, wie Fahrerplatz-Gestaltung, Armaturenbrett und zentrale Anordnung des Elektrofaches zu einer gelungenen Lösung verbunden waren.
SETRA S 130 S Technische Daten:
Länge: 11.925mm, Breite: 2.500 mm, Höhe: 3.050 mm
Motor: DB-OM 407 h 240 PS - 11.413 ccm
zul: GesGew.: 16.000 kg
Eine Weiterentwicklung waren dann der SETRA S 140 ES und der SETRA SG 180, welche beide auf der IAA 1973 vorgestellt wurden. Der SG 180 und der SG 180 Ü wurden so erfolgreich, dass eigens ein eigenes Fertigungsband eingerichtet werden musste, um die Nachfrage zu befriedigen. Weiterhin brachte man 1975 noch den SETRA S 80 B heraus, der auf der Internationalen Omnibuswoche in Monaco vorgestellt wurde. Es war eine Weiterentwicklung des S 80, der nun mit einer Fahrzeugbreite von 2,50 m gebaut wurde, während der S 80 bis dahin nur 2,30 m breit war.
SETRA 140 ES
Baujahr 1973
Technische Daten:
Länge: 11.925 mm, Breite: 2.500 mm, Höhe: 3.050 mm
Motor: DB-OM 407 h - 240 PS - 11.413 ccm
zul. GesGew.: 16.000 kg
SETRA SG 180
Baujahr 1973
Technische Daten:
Länge: 16.875 mm, Breite: 2.500 mm, Höhe: 3.050 mm
Motor: MAN D 2566 MUM - 240 PS - 11.334 ccm
zul. GesGew.: 24.000 kg
SETRA S 80 B
Baujahr 1975
Technische Daten:
Länge: 7.690 mm, Breite: 2.500 mm, Höhe: 2.870 mm
Motor: Henschel- 5-Zylinder - 135 PS 6.490 ccm
Sitzplätze: 34
Doch es zeichnete sich schon das Ende der Baureihe 100 ab. Auf dem Genfer Automobilsalon 1973 und anlässlich der Omnibuswoche in Nizza erregte ein Omnibus beträchtliches Aufsehen: der SETRA S 200. Als Fernreiseomnibus konzipiert zeichnete er sich durch große Gepäckräume, einer Unterdeck-Küche und –Toilette aus. Bei ihm fand auch erstmals die Querstrombelüftung Verwendung. Hierbei erfolgt der Luftein- und austritt seitlich über den Fenstern und nicht durch eine Öffnung oberhalb der Windschutzscheibe. Die anwesende Presse war von diesem Fahrzeug so begeistert, dass dieser Bus als „Rolls-Royce der Omnibusse“ in verschiedenen Fachartikeln bezeichnet wurde. Kässbohrer gewann damit auf Anhieb den Karosseriewettbewerb in Nizza.
SETRA S 200
Baujahr 1973
Technische Daten:
Länge: 12.000 mm, Breite: 2.500 mm, Höhe: 3.550 mm
Motor: DB-OM 403 - 320 PS - V 10
Der S 200 war der Urahn der Setra - Hochdecker. Ihm war wirtschaftlich kein riesiger Erfolg beschieden, nur ca 50 Stück wurden gebaut. Die Zeit war einfach noch nicht reif für ein solches Fahrzeug.